Nach dem Scheitern der umfassenden Verhandlungen zur Beilegung des
Konflikts im Juli 2017 aufgrund der unnachgiebigen Haltung der
griechisch-zypriotischen Seite, die sich als alleiniger Eigentümer der Insel
und die türkisch-zypriotische Bevölkerung als Minderheit betrachtet,
forderte UN-Generalsekretär Antonio Guterres die Parteien auf, eine
Reflexionsphase über das Wesen und die Zukunft des Verhandlungsprozesses
einzuleiten. Anfang 2018 beauftragte der UN-Generalsekretär die
US-amerikanische Staatsbürgerin Jane Holl Lute, eine hochrangige Beamtin
der Vereinten Nationen, mit der Konsultation der Parteien der
Zypernkonferenz, um die Ergebnisse ihrer Überlegungen seit Crans-Montana zu
ermitteln.
Der UN-Generalsekretär Guterres erklärte in seinem Bericht über die
Good-Offices-Mission vom 15. Oktober 2018, dass er der Ansicht ist, dass der
zu befolgende Fahrplan umfassend vorbereitet werden sollte, indem er die
Tatsache anerkennt, dass zusätzliche neue Ideen erforderlich sein könnten,
damit eine neue Anstrengung zu Ergebnissen führt. In seinem Bericht betonte
Guterres auch die Notwendigkeit, das "Aufgabenbereich" festzulegen, damit
die Verhandlungen effizienter und ergebnisorientierter verlaufen können.
Frau Lute hat sich mit den beiden Seiten auf der Insel und den
Garantenstaaten in Verbindung gesetzt, um herauszufinden, ob es eine
gemeinsame Grundlage für die Einleitung eines neuen Verhandlungsprozesses
gibt; es wurden jedoch keine konkreten Fortschritte erzielt.
Am 25. November 2019 traf der UN-Generalsekretär Guterres informell mit der
türkisch-zypriotischen und der griechisch-zypriotischen Führung zusammen. Im
Anschluss an das Treffen erklärte der Generalsekretär in einer schriftlichen
Erklärung, dass er seine Bemühungen fortsetzen werde, zu einem geeigneten
Zeitpunkt ein informelles 5+UN-Treffen unter Beteiligung der
Garantiegeberstaaten zu organisieren. Der UN-Generalsekretär Guterres setzte
seine diesbezüglichen Bemühungen bis nach den Präsidentschaftswahlen in der
TRNZ aus.
Die türkisch-zypriotischen Präsidentschaftswahlen sollten im April 2020
stattfinden, wurden aber aufgrund der COVID-19-Pandemie verschoben. Der
Vorsitzende der Partei der Nationalen Einheit und Ministerpräsident Ersin
Tatar, ein Befürworter einer Zwei-Staaten-Lösung, gewann die Wahlen, die in
zwei Runden am 11. und 18. Oktober 2020 stattfanden.
Nach den Wahlen schlug der UN-Generalsekretär Guterres in seinem Schreiben
vom 26. Oktober 2020 vor, ein informelles Treffen einzuberufen, wie es
unser Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu zuvor angeboten hatte, um
festzustellen, ob es eine gemeinsame Basis zwischen den beiden Seiten auf
der Insel gibt, damit formelle Verhandlungen aufgenommen werden können.
Sowohl die türkische als auch die griechisch-zypriotische Seite haben ihre
Bereitschaft zu diesem Treffen erklärt.
Dieses informelle 5+UN-Treffen fand unter der Schirmherrschaft des
UN-Generalsekretärs Guterres vom 27. bis 29. April 2021 in Genf statt, an
dem die türkisch- und die griechisch-zypriotische Seite sowie die
Garantenstaaten Türkiye, Griechenland und Großbritannien teilnahmen. Ziel
des Treffens war es, herauszufinden, ob eine gemeinsame Grundlage für die
Aufnahme neuer Verhandlungen besteht.
Bei dem Treffen erläuterte der Präsident der Türkischen Republik Nordzypern
(TRNZ), Ersin Tatar, ausführlich, warum das Föderationsmodell in den
letzten 50 Jahren keine Lösung für die Zypernfrage gebracht hat. Er wies
darauf hin, dass zunächst die souveräne Gleichheit und der
gleichberechtigte internationale Status des türkisch-zypriotischen Volkes
bekräftigt werden müssten, und dann könnten die beiden Staaten
Verhandlungen aufnehmen, um eine kooperative Beziehung aufzubauen.
Dementsprechend legte er einen schriftlichen Vorschlag mit sechs Punkten
vor. [1. Verabschiedung einer neuen Resolution durch den UN-Sicherheitsrat,
die die souveräne Gleichheit und den gleichen internationalen Status des
türkisch-zypriotischen Volkes garantiert, 2. Aufnahme von Verhandlungen
über eine kooperative Beziehung auf dieser neuen Grundlage, 3.
Verhandlungen über die bilateralen Beziehungen sowie über Fragen des
Eigentums, der Sicherheit, der Grenzregelungen und der Beziehungen zur EU,
4. Unterstützung der Verhandlungen durch die Bürgschaftsländer und die EU
als Beobachter, wenn nötig, 5. gegenseitige Anerkennung der beiden Staaten
im Rahmen einer erzielten Vereinbarung, 6. Durchführung getrennter
Referenden]
Die griechisch-zypriotische Seite hingegen brachte keine neuen Ideen ein,
blieb unnachgiebig und bestand auf der Wiederaufnahme der Verhandlungen
dort, wo sie im Juli 2017 in Crans-Montana "aufgehört" hatten, und
unterstützte das föderale Modell.
Im Anschluss an das Treffen brachte der UN-Generalsekretär zum Ausdruck,
dass "keine ausreichende gemeinsame Basis gefunden werden konnte", um
formelle Verhandlungen zwischen den Parteien aufzunehmen, er werde jedoch
seine Bemühungen fortsetzen und in naher Zukunft ein weiteres Treffen
abhalten.
UN-Generalsekretär Guterres hat den kanadischen Diplomaten Colin Stewart
zum Sonderbeauftragten des UN-Generalsekretärs und Leiter des UNFICYP
ernannt. Er hat Elizabeth Spehar abgelöst, deren Amtszeit am 30. November
zu Ende ging. Stewart trat sein Amt am 6. Dezember an und gab am 14.
Dezember einen Neujahrsempfang, an dem auch die beiden Staatsoberhäupter
teilnahmen.
Der Präsident der TRNZ, Ersin Tatar, übermittelte der
griechisch-zypriotischen Seite über die Vereinten Nationen in zwei Schreiben
vom 1. Juli und 8. Juli 2022 die Kooperationsvorschläge, die auf der
Grundlage der souveränen Gleichberechtigung beider Seiten ausgearbeitet
wurden. In diesen Schreiben schlug die griechisch-zyprische Seite eine
Zusammenarbeit auf der Grundlage der souveränen Gleichberechtigung in den
Bereichen (i) Kohlenwasserstoffressourcen, (ii) Integration von
Stromleitungen, (iii) erneuerbare Energien, (iv) Wasser, (v) irreguläre
Migration und (vi) Räumung von Landminen vor.
In seiner Rede vor der 77. Generalversammlung der Vereinten Nationen am 20.
September 2022 wies Präsident Recep Tayyip Erdoğan darauf hin, dass es auf
der Insel zwei verschiedene Völker und zwei getrennte Staaten gibt und dass
der Schlüssel zu einer Lösung in der Anerkennung der Rechte des
türkisch-zypriotischen Volkes auf souveräne Gleichberechtigung und einen
gleichwertigen internationalen Status liegt, und forderte die
internationale Gemeinschaft auf, die TRNZ so bald wie möglich anzuerkennen.
Im Mittelpunkt dieses Aufrufs steht der Gedanke, dass, da der
UN-Sicherheitsrat in den letzten anderthalb Jahren keinen Schritt zur
Anerkennnug der souveränen Gleichberechtigung und des gleichen
internationalen Status des türkisch-zypriotischen Volkes unternommen hat,
der Statusunterschied zwischen den Parteien auf der Insel durch die
Anerkennung der TRNZ durch die UN-Mitgliedsstaaten beseitigt und somit der
Knoten in der Zypernfrage gelöst werden sollte.
Die kompromisslose Haltung der griechisch-zypriotischen Seite hat die
Verhandlungen bisher nicht zum Erfolg geführt. Solange die
griechisch-zypriotische Seite nicht ihre Mentalität ändert, die sie als
alleinigen Eigentümer der Insel und die türkisch-zypriotische Bevölkerung
als Minderheit betrachtet, scheint es nicht möglich zu sein, dass neue
Verhandlungen zum Erfolg führen und eine Partnerschaft auf der Insel
aufgebaut werden kann.
Türkiye hält an ihrer Überzeugung fest, dass eine verhandelte, faire,
dauerhafte und nachhaltige Lösung der Zypernfrage auf der Grundlage von
Dialog und Diplomatie gefunden werden sollte. In dieser Hinsicht handelt
Türkiye mit der Vision, an neuen Ideen und Lösungsmodellen zu arbeiten, und
ist der Ansicht, dass nicht wie in der Vergangenheit Zeit mit
ergebnisoffenen Verhandlungen auf der Grundlage vager Dokumente mit
unklaren Zielen verschwendet werden sollte.
Heute gibt es zwei verschiedene Völker und zwei getrennte Staaten auf der
Insel. Die Verhandlungen über die Lösung der Zypernfrage und das zu
erreichende Ziel müssen auf dieser Realität aufbauen. In diesem Sinne ist
Türkiye der Ansicht, dass es an der Zeit ist, über eine Zwei-Staaten-Lösung
zu verhandeln, die souveräne Gleichheit und den gleichberechtigten
internationalen Status des türkisch-zyprotischen Volkes anzuerkennen und,
falls der Sicherheitsrat nicht über die Mittel und Fähigkeiten dazu
verfügt, die TRNZ anzuerkennen.
Auf der anderen Seite ist klar, dass die türkisch-zypriotische Seite unter
dem Fortbestehen des Status quo auf der Insel leidet. Türkiye verfolgt
einerseits einen lösungsorientierten Ansatz, um eine dauerhafte und
nachhaltige Lösung der Zypernfrage zu finden, und betreibt andererseits
eine aktive Außenpolitik, um die unmenschlichen Beschränkungen zu
beseitigen, die der türkisch-zypriotischen Bevölkerung von der
internationalen Gemeinschaft auferlegt werden. Bei jeder Gelegenheit wird
zum Ausdruck gebracht, dass die Bestrafung der türkisch-zypriotischen
Seite, die sich konstruktiv und ergebnisorientiert für eine Lösung
einsetzt, und die Belohnung der griechisch-zypriotischen Seite, die die
Lösung ablehnt, mit dem Konzept der Gerechtigkeit unvereinbar ist.
Unsere Kontakte und Aktivitäten in Bezug auf Zypern, unsere nationale
Angelegenheit, werden in diesem Sinne durchgeführt. Im Einklang mit diesem
Verständnis werden unsere Bemühungen, die Kontakte der Türkischen Republik
Nordzypern im Ausland zu verstärken, der türkisch-zypriotischen Bevölkerung
zu helfen, mit Zuversicht in die Zukunft zu blicken und ihr
Wohlstandsniveau zu erhöhen, weiter ausgebaut und fortgesetzt werden.